Erwarten wir zuviel vom Schweizer Fussball?

Wenn erst mal die dicken Schlagzeilen um den „Fall Xamax“ aus den auf Dramaturgie getrimmten Zeitungen verschwunden sind, ist die Zeit gekommen, den „Patient Fussball“ etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Als vorläufige Hauptursache der Erkrankung werden ausländischen Investoren gehandelt – der Ursprung des Problems ist aber ein ganz anderer: zu hohe Erwartungen.

Der Fussball erfüllt nicht erst seit gestern eine enorme Anziehungskraft. Dank der Unterstützung und dem Erfolg in der breiten Bevölkerung passierte irgendwann aber das, was bei jedem Wirtschaftsystem passiert: es gibt ein paar wenige die Geld verdienen und reich werden, und ganz viele die bezahlen und Arm bleiben. Ins Fussballjargon übertragen spielen die Reichen in der Champions League und die Armen nicht. Was für wenige Clubs Geldsegen und Hochglanzfussball bedeutet, ist für alle anderen Clubs der jeweiligen Landesligen vor allem eine Kostenschleuder. Ihnen bleibt höchstens die Freude über den gewonnen Stellenwert des einheimischen Fussballs.

Ob man will oder nicht: man muss ja konkurrenzfähig bleiben. Der FC Lausanne-Sport zum Beispiel – derzeit sportlich Letztplatzierter der Schweizer Super-League – muss mit einem Jahresbudget auskommen, das halb so hoch ist wie der Startbonus den der FC Basel für die Teilnahme an der Champions League bekommen hat. Man kann argumentieren, Lausanne sei ein zu kleiner Verein, der wenig Unterstützung aus der regionalen Wirtschaft geniesst. Dies wiederum lässt die Frage offen, welche Region denn tatsächlich genügend einheimische Investoren findet um den teuren Fussball bezahlen zu können. Wenn nämlich einem FC Basel zusätzliche Millionen zur Verfügung stehen, brauchen YB und Zürich ebenfalls mehr Geld um den Anschluss an die Spitze nicht zu verlieren und Clubs wie der FC Lausanne-Sport brauchen zusätzliche Millionen, um nicht abzusteigen.

Damit kommen wir in Neuenburg an. Nach dem Rückzug des langjährigen Präsidenten und Geldgebers Gilbert Facchinetti musste man sich beim FC Neuchâtel Xamax nämlich Gedanken machen, wie die ganze Chose noch zu finanzieren ist. Man liess sich von der Einmal-Investition eines osteuropäischen Barons verführen – aber nicht etwa aus lauter Gier, sondern weil man keinen anderen mehr gefunden hatte, der das Millionen-Spiel einfach so mitmacht. Spiel, das nicht nur von der Kuhmilch Champions League angetrieben wird, sondern auch von den Vermarktern, die dem schicken Fussball ein schönes Umfeld bieten wollen. Zu diesem Zweck werden Mindestansprüche an Stadien, Komfort und Sicherheit gestellt, die per se das Budget eines „Schwanzclubs“ schon mal strapazieren. Wie sollen kleine Clubs da noch Investitionen in die sportliche Existenz tätigen können, ohne sich entweder zu verschulden, oder sich einem ausländischen Investor an den Hals zu werfen?

Eine Lösung könnte sein, die Anforderungen und vor allem die Erwartungen an den (Schweizer) Fussball herunter zu schrauben. Unlängst äusserte ich die Meinung, dass ein Spitzenplatz in der zweithöchsten Liga wirtschaftlicher und sportlich interessanter sein könnte, als sich mit den Kellerkindern der obersten Liga um einen viel zu teuren Platz an der vermeintlichen Sonne zu prügeln. Liegt die Zukunft des bezahlbaren Fussballs gar im Aarauer Brügglifeld Aarau oder in der Winterthurer Schützenwiese? Unter diesem Aspekt könnte man sogar freiwillig von einem Aufstieg absehen, weil er viel zu teuer ist. Eine Praxis, die in Amateurligen auch anderer Sportarten, gang und gäbe ist.

Denn: 80 Prozent der Fussballvereine arbeiten defizitär. Das hat in den wenigsten Fällen mit Misswirtschaft oder kriminellen Investoren zu tun, als viel mehr mit der überbordenden Erwartungshaltung. Nicht etwa die Zuschauer fordern immer grössere Fussballarenen und hochkarätige Superstars. Es sind die Manager und Strategen, die Gewinnoptimierer und Vermarkter der Ligen, die Fussball als wachstumsoptimiertes Unternehmen betrachten, und nicht in erster Linie daran interessiert sind, dem Volk eine schöne Sportart zu schenken. In anderen Worten: das Symptom im Fall Xamax heisst zwar Bulat Tschagajew – der eigentliche Ursprung der Krankheit ist aber die Sportart selber, die sich an der Champions League orientiert, statt am ursprünglichen Zweck, dem Volk Unterhaltung zu bieten. In anderen Worten: wir werden nicht umhin kommen, den Hochglanz-Fussball als eigenes Wirtschaftssystem zu betrachten und „unseren“ Fussball wieder etwas volksnäher zu bewirtschaften – dann interessieren sich möglicherweise auch einheimische Investoren wieder für den eigenen Fussball.