«Griechenland hat viel Licht und viel Schatten»

Werner van Gent dürfte vielen von uns aus kurzen Einschaltungen in der Tagesschau bekannt sein. Was er im Fernsehen jeweils nur in wenigen Sätzen zusammenfassen kann, darüber hielt van Gent in Menziken einen äusserst interessanten Vortrag. Doch auch er fürchtet eine Frage, die er nicht beantworten kann. Dieser Artikel erschien 2013 im «Wynentaler-Blatt» Nr. 15.

wernervangent«Griechenland versetzt mich nach 32 Jahren als Korrespondent heute noch täglich ins Staunen» sagt Werner van Gent über ein Land von dem er in den letzten Jahrzehnt jede mögliche Facette kennen gelernt hat. Nach dem Niedergang der Diktatur 1974 reiste der Journalist mit holländischen Wurzeln ab 1980 quer durch Europa um den Menschen Griechenland zu erklären. «Die Einschaltungen aus Athen werden meistens von einem kleinen Balkon im 6. Stock eines Hotels im Zentrum der Stadt gedreht» sagte der Referent auf die mögliche Frage, ob er jeweils wirklich in Athen stünde. «Diese Einschaltungen in den Newssendungen des deutschsprachigen Landes gaben mir Gelegenheit, in einem kleinen Zeitfenster zu erklären, was man eigentlich gar nicht erklären kann» präzisierte van Gent.

Meistens wird gestreikt
Einen Versuch Griechenland zu erklären unternahm der Holländer dennoch. «Wenn Sie morgen versuchen nach Athen zu fliegen, wird das nicht gehen, denn das Flughafenpersonal streikt. In der Griechischen Presse werden Sie darüber nichts finden, denn auch die Journalisten streiken.» Der Grund für die Proteste ist im ganzen Land ist überall der gleiche: die von der Regierung gefassten Sparmassnahmen werden zwar als sinnvoll erachtet, aber ganz bestimmt nicht im eigenen Unternehmen. Trotz der angespannten Lage, den Schulden und der schieren Ausweglosigkeit nehmen es die Griechen weitgehend gelassen. Lauthals gehen sie zwar auf die Strasse, doch in Panik verfallen die Griechen nicht. Sie verlassen sich auf das, was sie über Generationen zusammengehalten hat: Die Familie und die Kirche. «Am Ende der Vertrauensliste stehen die Politiker und die Journalisten», sagt van Gent dazu, «was das Misstrauen in jede vom Staat beschlossene Massnahme unterstreicht.»

Doch gerade der Staat zählt am Pelopones zu den besten Arbeitgebern. Wer einmal eine Anstellung hat, bekommt eine in der Verfassung verankerte lebenslange Arbeits- und Pensionsgarantie. «Lange wusste man nicht, wie viele Staatsangestellte Griechenland hat. Jede Gemeinde konnte beliebig Personal einstellen, welches vom Staat – eben bis zum Lebensende – bezahlt wurde. Erst bei einer Zählung, bei der sich jeder Bedienstete registrieren lassen musste, sank die Zahl der Angestellten auf heute 750’000. Siebenmal mehr als in Österreich, einem von der Bevölkerungszahl her vergleichbaren Land.

Die seit der Einführung des Euro ausgebrochene Geldverschwendung kam ebenso plötzlich wie die drastischen Sparmassnahmen die Griechenland seit 2006 und ganz besonders in den letzten Jahren auf internationalem Druck durchzuführen hatte. Dass nicht die Ausländer – die ihr Investitionskapital von den Banken zurück wollten – die Bösen im Spiel sind, wird nun langsam auch den Griechen klar. Man reisst sich zusammen, trotzt der Jugendarbeitslosigkeit von 60% und haltet sich an dem fest was sich immer Bewärt hat: Die Familie und die Kirche. «Doch gerade die Kirche» sagt van Gent, «bezahlt als zweitgrösste Vermögensbesitzerin keine Staatssteuern und trägt direkt zur hohen Verschuldung bei. Doch die Politiker die wiedergewählt werden wollen sind gut beraten, diese tief verwurzelten Institutionen nicht in Frage zu stellen.

Prozess dauert viele Jahre
Damit ist auch klar, dass sich mit der verfilzten, ja korrupten und mit Skandalen umwobenen Regierung nicht viel ändern wird. «Griechenland ist heute wie ein Ölstaat, dem das Öl ausgegangen ist». Van Gent spricht von «Defetismus», den sich die Griechen selbst angetan hätten. wernervangent2Welches die Lösung sei, so der Journalist, wisse er aber nicht. «In den Vorgesprächen mit der Tagesschau sage ich immer, sie sollen mich ja nicht fragen, wie es mit Griechenland weiter gehen soll. Ich weiss es nicht. Ich bin nur der Journalist der Geschehenes wiedergibt, nicht der Experte für Krisenbewältigung». In den letzten Jahren sei Griechenland jedoch einem starken Wandel ausgesetzt. Noch sei keine Struktur und keine Richtung zu erkennen, aber immerhin wachse das Bewusstsein, dass sich Griechenland – nicht zum ersten Mal in seiner Geschichte – vollkommen verändern muss. Ob es gelingen wird wusste auch nach der anschliessenden Fragerunde niemand. Den über 200 Zuhörern im Kirchgemeindehaus Menziken wurde die Eigenart Griechenlands jedoch ein Stück näher gebracht und allen wurde das Bewusstsein geschärft, dass in der heutigen Zeit nichts bleibt wie es ist. «Griechenland ist wie Licht und Schatten», sagte van Gent abschliessend. «Es gibt viele dunkle Seiten, doch könnte Griechenland auch ein Vorbote dessen sein, was uns in Resteuropa noch erwartet. Anzeichen dafür gäbe es in Italien oder Portugal schon – vielleicht täte unsereiner gut, sich in diesem Punkt von den Griechen zu lernen und uns auf traditionelle Werte zu verlassen, das zu würdigen was wir haben.