Diplome, Diplome, Diplome
Während 20 Jahren solider Arbeitsweise bei der Post, habe ich mehr als einem Kadermenschen Excel erklärt oder dessen Korrespondenz geführt, weil er es nicht schaffte sich in einfachsten Worten auszudrücken. Und das trotz eidgenössisch diplomierter Auszeichnung und einer Wand voller Diplome. In 4 weiteren Jahren der Selbstständigkeit als Texter, erschuf ich faszinierende Geschichten, gab perfekte Artikel ab und überzeugte mit soliden Arbeiten. Weil das ganze zum Überleben nicht reicht, muss eine Stelle her. Lieber gestern als heute. Blättere ich jedoch die Stelleninserate durch, begegne ich nicht nur in meinem Jargon, sondern in jedem beliebigen Gebiet immer dem gleichen Phänomen: gefordert werden nicht etwa Fähigkeiten, sondern Diplome.
Es ist unglaublich, wie viele Arten von schriftlich beglaubigten Qualifikationen es geben soll. Eine kaufmännische Ausbildung hier, Fremdsprachen da. Das ginge ja noch. An eine gewisse Verständnisgrenze stosse ich, wenn die Unterabteilung Soziales des Bundesamtes für Migration für ihre Kommunikationsstelle zwingend einen Hochschulabschluss fordert, mit Weiterbildung zum Mediator, dazu idealerweise mehrjährige Erfahrung im Kader eines Sozialamtes. Und das nur, um dem Vorsteher des neuen Amtes in einem akzeptablen Deutsch Bericht darüber zu erstatten, welche bemerkenswerten Vorkommnisse beim Abschub von Asylanten zu verzeichnen waren.
Was in diesem Fall bestimmt einen tiefgründigeren Sinn hat, ist ein Phänomen dem man beim Studium der Inserate immer wieder begegnet. Personalchefs haben einen Bürogummi-Job zu vergeben und gehen einfach mal davon aus, wenn die Stelle mit einem eidg. dipl. lic. besetzt wird, man auch die Qualität eines eidg. dipl. lic. bekommt. Dass diese Rechnung nicht aufgeht, müsste man beim Bundesamt für Migration spätestens dann bemerkt haben, nachdem die Stelle innerhalb eines Jahres viermal besetzt und wieder ausgeschrieben werden musste.
Dabei ist klar: wo eidg. dipl. lic. drauf steht, ist nicht zwingend eidg. dipl. lic. drin. Ein Diplom sagt nichts darüber aus, ob der Inhaber sich in Sachen Sozialkompetenz, Engagement oder Identifizierung mit dem Arbeitgeber in die Unternehmensphilosophie wird einfügen können. Gewiss: das persönliche Gespräch vor der Anstellung kann darüber Aufschluss geben. Doch was, wenn sich all die sozialkompetenten, intellektuellen und eloquenten Menschen erst gar nicht bis zu diesem Gespräch durcharbeiten können, weil ihre Dossiers mangels Diplomen von Anfang an auf dem C-Haufen landen?
Das Bundesamt für Migration wird sein Inserat ein fünftes Mal schalten müssen, weil sich der vierte mit Diplomen dekorierte Auserwählte, ebenfalls als komplette Flasche herausgestellt hat. Hätten alle gescheiterten Stelleninhaber ehrlich darüber Auskunft erteilt, wer ihre Diplomarbeiten geschrieben haben und mit welcher Mogelei die genügende Note in Englisch erreicht wurde: wetten, da steckt immer ein ehrlicher Chrampfer dahinter ?
Ich plädiere für mehr Offenheit bei der Stellenvergabe. Jeder der sich auf eine Stelle bewirbt, hat seine ganz persönliche Vergangenheit. Er bringt seine Schäden aus dem Erlebten und die Qualifikation aus dem Geleisteten mit und dem ist mehr Bedeutung beizumessen, als irgendwelchen Diplomen. Es ist vollkommen klar, dass ein Programmierer über die entsprechenden Kenntnisse zu verfügen hat. Doch warum wird fähigen Menschen, die mit Engagement und Begeisterung an die Arbeit gehen, der Eintritt in die Arbeitswelt praktisch verunmöglicht? Warum kategorisieren Personalchefs die Kandidaten nach Diplomen, anstatt sich mit ihren tatsächlichen Fähigkeiten auseinanderzusetzen? Ist das wirklich der sicherere Weg, oder geht es vielen wie dem Migrationsamt?
Die Stellenbezeichnung beim Bundesamt ist übrigens frei erfunden, nicht aber die Anforderungen die gestellt wurden und die Wiederholungsrate, mit welcher das Inserat in 3-Monats-Abständen aufgetaucht ist. So oder so: falls dieser Vortrag dazu führt, dass sich meine Passion zum Schreiben in einen bezahlten Job ummünzen lässt, werde ich gerne darüber berichten. Die Chance ist leider eher klein, denn niemand will einen 43-jährigen Ex-Pöstler – der hat ja kaum Diplome an der Wand.
Ich habe die Erfahrung gemacht, auch weil ich jetzt für eine Schule arbeite, dass jede Bewerbung mehr oder weniger gleich aufgebaut ist. Formuliere das obige doch noch ein wenig um und schicke das als Bewerbung ab. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder die andere Personalverantwortliche von dem ganzen Mainstream zu übersättigt ist, dass du eine Chance bekommen könntest. Wünsche viel Glück und natürlich HOPP SCB!
Ich habe Deine Seite durch einen TV-Bericht gefunden. Meine Erfahrungen kann ich nur mit Dir teilen!
Kann dir (leider) nur beipflichten. Es ist eine Schande, dass Lebenserfahrung, Sozialkompetenz, Motivation und eine gesunde Einstellung zur Arbeit bei der Stellensuche weniger wert sind als diese Papierfetzen.
Ich erzähle in diesem Zusammenhang immer mal wieder gern das Beispiel meines einstigen Arbeitskollegen, hochdekoriert mit Abschluss einer Fachhochschule, der mich drei mal anrufen musste, bis er es fertig brachte, mir vom Büro aus einen Fax zu senden…
Gerade an diesem Wochenende wieder erlebt: Der hoch dekorierte Spitzenfussballclub BSC YB, mit zig diplomierten Mitarbeitenden und Entscheidungsträgern brachten nicht fertig, was beim kleinen FC Aarau mit ein paar Telefonanrufen funktionerte: Der Fussballplatz war geräumt, das Spiel konnte stattfinden.
Ach ja: Bei YB kam es heute (zwar nicht deswegen) zu Entlassungen, dabei hatte der Entlassene doch alle nötigen Diplome 😉