Freud, Leid und unbesiegte Monster

Das vergangene Wochenende war sehr ereignisreich und für die Famiglia Conoci eines der schönsten überhaubt. Dabei lagen und vor allem liegen Hochs und Tiefs so nahe beieinander, dass dies an dieser Stelle zu einer psychoanalytischen Beleuchtung führt, wobei mir noch nicht klar ist, worauf ich mit diesem Artikel hinaus will.

Die Ereignisse per se wären jedes einzelne ja schon je einen Beitrag wert. Am Freitag reichte ein spontan eingelöster Gutschein zu einem Wett-Gewinn von 18 Franken. Später an diesem Tag entschied sich Famiglia Conoci, den Oltener Feierabendverkehr mittels Schleichweg über den Engelberg zu umfahren. Doch heraus kam eine Irrfahrt, die in einer Sackgasse endete. Auf dem Berg jedoch tauchten unvermittelt Freund Schämu und Freund Yogi auf und wir alle kamen in den Genuss eines Plauderstündchens, Goggi junior erteilte uns eine Lektion in Sachen Rittertum und das Glacé und die Aussicht von der Warteck-Ruine und dem Säli Schlössli erwiesen sich als perfekt.

Am Samstag dann, feierte Nonno Conoci seinen 78. Geburtstag, just an jenem Datum, an welchem seine Eltern Jahre zuvor, aber nicht im gliechen Jahr verstorben waren. Ebenfalls an diesem Samstag kassierte der FC Aarau eine seiner wohl bittersten Niederlagen, doch ereigneten sich nach Spielschluss Dinge, von denen Conoci Junior noch Wochen und Monate lang erzählen wird und seinen Papa unglaublich Stolz machen. Der Elfjährige fasste nach dem Spiel, trotz Niederlage, seinen ganzen Mut und stürmte das Spielfeld, um die Handschuhe seines Torhüter-Idols Joël Mall zu ergattern. Dieser winkte in der Enttäuschung der Niederlage ab, was den kleinen Mann in Tränen aufgelöst zu seinem Papa zurückkehren liess. Das Geschehene blieb nicht unbeobachtet und hier beginnt der Teil der mich gleichermassen Stolz auf meinen Sohn und meinen Club sein lässt. Captain Sandro Burki erkundigte sich beim jungen Fan und schenkte ihm kurzum sein Tricot. Assistenztrainer Manuel Klöckler hörte sich das Leid ebenfalls an und verschwand sodann in der Kabine. Einige Zeit später herrschte Unruhe in den Katakomben, denn alle suchten den kleinen grossen Fan. Manuel nahm Goggi Junior mit in die Kabine und holte den Torhüter unter der Dusche hervor. Dieser drückte seinem Fan gleich zwei Paar Handschuhe in die Finger, begleitet mit Worten, die unter den Beiden geblieben sind, die den kleinen Mann aber über alle vier Backen strahlend zurück kommen liessen. Sein Einsatz, sein Wille und sein Mut wurden belohnt.

Der Sonntag sollte uns allen noch einmal einen beschaulichen Tag bescheren, wobei der nicht übergewichtige Teil der Familie sich auf Rollschuhen ins Luzernische aufmachte. Der dabei entdeckte Tschuttiplatz sollte hiernach mitsamt Joël-Mall-Handschuhen ausprobiert werden, doch installierte sich die schweizweit einzige dunkelschwarze Regenwolke, genau über dem Fussballfeld und entleerte sich dort für den Rest des Abends.

Freud und Leid sind sehr oft nahe beisammen. Nur zu gut weiss ich das aus meinem nun doch schon 43 Jahre dauernden Leben. Das oben beschriebene Wochenende war in seiner Gesamtheit eines der schönsten in diesen vielen Jahren. Und eben weil ich von meinem Leben inzwischen auch die bipolare Seite kenne, wusste ich, dass der Montag im genauen Gegenteil enden würde. Vermutlich will das Universum es so. Oder Gott. Mann ist sich da ja noch uneinig – nennen wir es der Einfachheit wegen mal „Krankheit“. Jedenfalls hätte ich die letzten 18 Franken auf dem Wettkonto darauf verwetten können, dass dem Höhepunkt der letzten Tage, heute der Tiefschlag folgen würde: unerledigte Telefonanrufe, vernachlässigte Korrespondenz, Aufträge die liegen bleiben und unbeabsichtigte Verspätungen führten letztlich dazu, dass am selben Abend das wichtige Medienbankett schlicht vergessen blieb. Die Aufregung darüber löste bei uns Erwachsenen (Goggi Junior war ja inzwischen wieder bei seiner Mutter in Suhr) Ängste aus, die einmal losgetreten, wie eine Lawine sich unaufhaltsam in ein bösartiges Monster verwandeln. Plötzlich waren sie wieder da, die dunklen Gestalten, mit den  scharfen Klauen, die am Hinterkopf lauernd, gute Gelegenheiten abwarten. Ich hatte die Uhr genau im Blickfeld. 23:50 Uhr. Der „Tag danach“ schien schon fast überstanden, doch nahmen die Gestalten ihre letzte Gelegenheit wahr. Sie hatten ihre Trichter dabei und entleerten ihre unnützen Gedanken in mein Bewustsein. „was du tust ist Nichts, was du willst ist Nichts, was du bist ist Nichts“, sagten sie. Und: „stell‘ dich weiter hinten an, geh alt und übergewichtig sein, streiche deine Wünsche, funktioniere“.

Kopfschmerzen, Zittern, Tränen. Gegenseitiges Anstecken. Eine wirre Wanderung durch unkontrollierbare Gefühle, die über Jahre getreten, missverstanden, oder mit Absicht ausgenutzt wurden. Die Gestalten drohten Überhand zu gewinnen, rieben sich ihre dreckigen Hände, lachten höhnisch und wackelten mit ihren Trichtern. Ungeachtet der grossen Töne, welche die Gestalten spuckten, bot mir Misses Sunshine ihre Hand. Sie kann mich nicht tragen, doch das muss sie auch nicht. Genau so, wie ich es auch nicht kann. Auch ich bot ihr deshalb meine Hand, um mit ihr den Weg zu finden. 01:32 Uhr. Den beiden verlorenen Seelen gelang es die Ängste vorläufig zu vertreiben. Zusammen. Ich danke dir aus ganzem Herzen, Misses Sunshine!

Freud und Leid so nahe beisammen. Ohne das eine bliebe das andere unbemerkt. Ein bisschen weniger dürften die Ausschläge nach unten ruhig sein – aber ich nehme sie in Kauf, wenn ich dadurch die guten Momente behalten darf. Ich schäme mich nicht mehr, zu meiner Krankheit zu stehen. Mahnenden Fingern, solche Eingeständnisse würden bei der Stellensuche nicht hilfreich sein, schliesslich google heute jeder Arbeitgeber, entgegne ich: die Krankheit ist ein Teil von mir. Ein Teil von uns. Wir haben sie uns nicht ausgesucht und leider lässt sich die Behinderung auch nicht durch abgeschnittene Beine darstellen. Aber sie ist da.

03:50 Uhr. Für „heute“ ist der Sturm vorüber, die Monster zurück in ihrem gottverlassenen Tal der Finsternis. Auf ein ander Mal. Bis dahin freue ich mich auf neue gute Momente mit Misses Sunshine und Goggi Junior, im Wissen, dass die Monster wiederkommen können. Vielleicht hilft dieses Bewustsein, sie zu besiegen. Wahrscheinlich nicht. Aber wir kämpfen weiter, denn für meinen Teil gibt es zwei gute Gründe, und die tragen beide meinen Namen.