Schlimme Nachrichten

Ein besonderes Merkmal unserer Zeit ist die allumfassende Informationsflut, die uns täglich erreicht. Man braucht im Gegensatz zu den 1980er Jahren, in denen ich aufgewachsen bin, nicht mehr drei Tage zu warten bis das Ergebnis des Freundschaftsspiels aus Südafrika übermittelt wurde. Und wenn in China der berühmte Reissack umfällt, so erfährt man das heute per Live-Ticker. Nicht geändert hat sich seither jedoch, dass schlimme Nachrichten viel schneller verbreitet werden als gute. „Was du hast zwei Kinder“? entgegnete ich erst kürzlich einem alten Bekannten, den ich wie sich herausstellte seit Jahren nicht mehr gesehen habe. Von demselben drang vor einiger Zeit nur zu mir durch, dass er sich scheiden liess und die Zeitung für die er arbeitete 200 Leute entlassen hatte.

Erinnert sich noch jemand? Wie das Kind wohl lebt heute?

Manchmal sind die schlimmen Nachrichten so schlimm, dass sie von den Medien dermassen breit geschlagen werden und man gar nicht in der Lage ist die Verhältnismässigkeit zu begreifen. Ich meine, Flugzeuge die in Hochhäuser fliegen, oder Flutwellen die eine Atomkatastrophe auslösen, oder ein Spinner der in Oslo wahllos Leute umbringt. Solche Ereignisse sind so Überdimensional, dass die kleinen Katastrophen gar nicht mehr wahrgenommen werden können. In Fukushima fielen ja nicht nur Häuser um und die Gegend wurde verstrahlt, auch wenn wir ein halbes Jahr nach dem Wahnsinn die Katastrophe auf diese beiden Ereignisse reduzieren würden – wohl auch eine Folge der überdimensionalen Berichterstattung aus Japan. Tatsächlich löste das Ereignis Tausende weiterer Katastrophen aus, die jede einzelne für sich genommen und aus der Betrachtungsweise jedes Einzelnen, mindestens eine ebensolche Aufmerksamkeit rechtfertigen würde.

Ich denke da an zerrissene Familien, an verlorene Besitztümer, an Kinder die ihre Haustiere verloren haben, ihr Kuscheltier, das Spielzeug, die Fotos vom geliebten Ausflug. Auch die Erwachsenen werden nie wieder ihre Erinnerungen ausgraben können. Die schönen Hochzeitsfotos, sorgsam aufbewahrte Kostbarkeiten, die hübsch eingerichtete Wohnung. Alles weg. Und mit ihnen das zu Hause, die Existenz, womöglich die Gesundheit, die Beziehung, das soziale Umfeld und die Aussicht auf ein Minimum an Lebensqualität.

Da frage ich mich bei all diesen kleinen, schlimmen Katastrophen, die vielleicht nur wenige betreffen, aber von jedem persönlich um so grösser wahrgenommen werden, warum es die Menschen in ihrem Umfeld immer wieder schaffen, völlig unnötige Katastrophen selber zu erschaffen. Beziehungen zum Beispiel. Noch viel schlimmer: Liebesbeziehungen. Gibt es eigentlich irgend einen rationalen Grund eine Beziehung aufzubauen? Welcher masochistische Teufel hat uns geritten, dass wir trotz Wissen dass die Verliebtheit und die Emotion im Verlaufe der Zeit garantiert schwinden wird, uns trotzdem verlieben? Und warum in aller Welt bauen wir Dinge ausgerechnet auf ein instabiles Liebesgerüst?

Eine rhetorische Frage, ohne Erwartungen an eine Antwort. Vielleicht liegt es an der Natur des Menschen, vielleicht am Druck der Gesellschaft, oder am Entwicklungsrückstand gegenüber der Natur. Die weiss sich nämlich auch nach Atomunglücken zu helfen, was Menschen schon nach einem kräftigen Windstoss schon nicht mehr können. In diesem Sinne: Auf zur nächsten schlimmen Nachricht, nur so lernt der Mensch.

(Erschienen am 9. August 2011 im alten Goggiblog)